Eine seltene Chance für unsere Schülerinnen und Schüler: Einmal nicht in Büchern wälzen, sondern mit einem Menschen sprechen, der Geschichte erlebt hat.
Dr. Roswitha Breitschaft berichtet über Diktatur und Stasi-Gefangenschaft in der DDR: „Das schlimme Jahr“.
Es macht einen großen Unterschied, Geschichte gemäß eines Lehrplans, d. h. wissensorientiert zu erfahren, oder Zeitzeugen zu lauschen, die Erlebtes authentisch vor Ort – heute an den Beruflichen Schulen in Achern – schildern und Schülerinnen und Schüler durch ihr gesprochenes Wort in ihren Bann ziehen: Dr. Breitschafts Publikum bestand aus Zuhörern des Berufskollegs I und II sowie Schülern der gymnasialen Oberstufe. Die Anwesenden vollzogen während ihres Vortrags eine geschichtliche Zeitreise, die von der Flucht und Vertreibung aus Schlesien 1945, Alltags- und Studieneindrücken aus ihrer Zeit in Berlin und Magdeburg, über ihren gescheiterten Fluchtversuch im jugoslawischen Grenzgebiet bis hin zur Verurteilung wegen Republikflucht und zahlreichen Inhaftierungen in DDR-Gefängnissen reichte.
Sie nannte das Kind beim Namen, wenn sie ausdrücklich von der DDR als Diktatur sprach: „Sozialismus und Freiheit – das geht nicht. Das ist wie Feuer und Wasser.“ So gab es z. B. keine Auswahl zwischen unterschiedlichen Parteien, man wurde gezwungen, zur Wahl zu gehen. „Wer es nicht tat, wurde exmatrikuliert.“ Sie berichtete sehr eindrücklich von der „Schizophrenie des Alltags“: Es gab einen Unterschied zwischen dem, was Systemkonforme hören wollten, was gesagt werden sollte, und dem, was man nicht sagen durfte. Diesen Spagat musste Dr. Breitschaft tagtäglich im DDR-Alltag vollziehen. In diesem Kontext schilderte sie eine solche Alltagsparadoxie, die sie in einem als freiwillig deklarierten – doch politisch eingeforderten – gesellschaftswissenschaftlichen Seminar erfuhr: „Der Friedenswille der DDR wurde an der Anzahl der Panzer festgestellt, der Kriegswille der BRD ebenso.“ Als sie auf die Paradoxie verwies, wurde sie als Provokateurin verunglimpft und erhielt von da an schlechte Zensuren. Auch die als „freiwillig“ etikettierte vormilitärische Ausbildung während des Studiums entpuppte sich nach ihrem „Nein“ im Nachhinein als verpflichtende politische Maßnahme. Alle 14 „Verweigerer“ fielen im Anschluss durch die „Gesellschaftswissenschaftsprüfung“, denn man hatte sich im Vorfeld als Klassenfeind erkennbar gezeigt.
Sie beschrieb ebenfalls sehr eindrücklich die absurden Auswüchse der Planwirtschaft und die stets vorherrschenden Versorgungsmängel: „Wenn eine große Veranstaltung anberaumt war, gab es außer in dieser Stadt keine Butter mehr zu kaufen. Die Häuser verfielen. Es machte keinen Sinn, die Fassaden neu zu streichen, denn die erhältlichen Farben blätterten schnell wieder ab.“ Auch fehlte es an wichtigen Medikamenten. So berichtete sie von „gewollt in Kauf genommenen Todesfällen bei Säuglingen. Die Medikamente wurden nicht aus dem Westen angefordert: Man wollte störfrei sein und sich keine Blöße geben. Bis die „Regierungsapotheke“ sie ausgeliefert hatte, war es bereits zu spät.“ Es fehlte an allem: Ärzte betrieben in der DDR deshalb „Steinzeitmedizin“. Im Zuge ihrer gescheiterten Republikflucht und der darauf folgenden Verhaftung warf sie auch ein Schlaglicht auf das „Spitzelsystem“ der DDR. Auch sie wurde angeworben und erteilte dem System eine Absage, was zu erneuten Repressalien führte. In der Gefängniszelle war „kaum Raum und Luft.“ Sie erzählte eindrücklich von den beengten Haftbedingungen, stundenlangem beschäftigungslosen Sitzen auf einem Klappstuhl, das bei vielen Mitgefangenen u. a. zu Schwielen am Gesäß führte. Sie mussten ihre Gefängnisstrafe wortwörtlich absitzen. Vor Ort herrschten kaum vorstellbare menschenunwürdige Haftbedingungen vor: „Das Putzwasser gefror im Winter auf dem Zellenboden, so kalt war es.“ Zum Schluss kann man jedoch von einem Happy End sprechen, denn die Referentin wurde für 100 000 DM von der BRD freigekauft. Sie heiratete ihre große Liebe und bekam zwei Kinder. Ihre Vita ist von zahlreichen Auslandsaufendhalten geprägt. Letztendlich gelang es ihr, die DDR, „das Gefängnis mit erweitertem Freigang“ zu verlassen und ein Leben in Freiheit zu führen. Sie ermunterte die aufmerksam lauschenden Schüler dazu, ihre Stimmen stets gegen Ungerechtigkeiten, Repressalien und für den Erhalt der Menschenrechte, insbesondere der Freiheit zu erheben. Mehr noch beeindruckte die Zuhörer ihre Lebendigkeit und demokratische Haltung. Kennzeichnend hierfür ist der Satz: „Ich wollte mir selbst treu bleiben.“
Den Pressebericht aus den Badischen Neuesten Nachrichten finden Sie hier als pdf-Version:
(Ek)